Wien, den 27.3.1951

Lieber Herr Bader!

Wie Sie ja wissen, bin ich seit nunmehr nahezu zwei Jahren nicht mehr bei Stary. Vor einigen Tagen traf ich Ihren Onkel, Herrn Steindler. Er erzählte mit von Ihrem Briefwechsel mit Stary und von seinen Besuchen bei diesem. Wir kamen im Laufe dieses Gespräches auf die derzeitige Situation im Wiener Buchhandel zu sprechen. Auf Wunsch Ihres Onkels lege ich Ihnen diese Situation, die ich ja lange genaug aus eigener Anschauung kenne, dar: Die geschäftliche Situation im Buchhandel ist als ausgesprochen schlecht und ungünstig zu bezeichnen. Wiederholte Preiserhöhungen auf allen Sektoren des täglichen Bedarfes haben dazu geführt, dass die hinter der Preisentwicklung zurückgebliebenen Gehälter und Löhne knapp dazu reichen, den unmittelbaren Lebensbedarf weitester Bevölkerungskreise zu befriedigen. Durch dringende Anschaffungen von Gebrauchsgütern aller Art, wie Wäsche, Kleider, Schuhe, Möbel etc. werden eventuelle kleine Ersparnisse aufgezehrt, sodass für nicht unbedingt notwendige Einkäufe, wozu natürlich, vor allem auch die Bücher gehören, kein Geld mehr vorhanden ist.
So sind die Umsätze der Buchhandlungen stark zurückgegangen und ein grosser Teil der heute noch getätigten Umsätze kommen nur dadurch zustande, weil der Buchhändler seinen Kunden Kredit gewährt und gegen Ratenzahlung liefert. Diese Kreditverkäufe binden natürlich Kapital. Für Firmen, die nicht über eine gesunde Finanzbasis verfügen, und diese hat Stary nicht, ist dieses Kreditgeschäft überhaupt nicht oder nur in ganz kleinem Umfang möglich. Bei diesen Firmen stehen hohe Spesen ständig sinkenden Umsatzziffern gegenüber und es ist meines Erachtens nach anzunehmen, dass bei einer längeren Dauer der geschilderten Situation verschiedene dieser Firmen einfach eingehen werden.
Nun zum speziellen Fall: Ich kenne die Sachlage bei Stary auf Grund meiner langjährigen Tätigkeit bei ihm sehr genau und kann sie nach meinen Beobachtungen nur als katastrophal bezeichnen. Im Krieg erhielt das Geschäft einen Bombentreffer, der erhebliche Zerstörungen anrichtete. Nach dem Krieg, als die Geschäfte eine Zeitlang sehr gut gingen, erhielt Stary eine sehr hohe Nachbesteuerung für die letzten Kriegsjahre, wodurch die damaligen Geldeingänge aufgezehrt wurden um damit einen Teil der Steuer zu begleichen. Zu einer Zeit also, in der gutfundierte Firmen das Wort „finanzielle Sorgen“ überhaupt nicht kannten, mussten wir bei der Firma schon kämpfen. Zu irgendwelchen Investitionen konnte es unter diesen Umständen nicht kommen und kaum für die notwendigsten Wareneinkäufe war Geld da. Ich, als kleiner Angestellter, habe, als uns damals ein grösserer Posten Antiquaria angeboten wurde, aus meinen Ersparnissen der Firma ein Darlehen gegeben, damit dieser Ankauf überhaupt getätigt werden konnte und habe das Geld kleinweise zurückbekommen. Als dann Anfang des Jahres 1948 die Konjunktur für den Buchhandel mit einem Schlage abriss, begannen sich die Verhältnisse noch mehr zuzuspitzen. Es kamen Sicherstellungspfändungen auf das Lager und Inventar von der Steuer und Krankenkassa, es kamen Exekutionen und die Verschuldung nahm vollkommen überhand. Damals habe ich begonnen, mich nach einer anderen Stelle umzusehen, weil ich bei Stary kein Fortkommen sah. Mitte 1949 war es dann soweit, dass ich von ihm wegging und ich habe in meiner gegenwärtigen Firma eine ausbaufähige Stellung gefunden. Wie recht ich damals hatte, zeigt sich jetzt. Ich glaube nicht, dass Stary heute noch in der Lage wäre, mir mein Gehalt zu bezahlen, da ich weiss, dass er seinem Personal, dass sich ohnehin nur mehr aus seiner Tochter, einem kaufm. Angestellten und einem Geschäftsdiener zusammensetzt, die Gehälter ratenweise ausbezahlt und auch hier in Rückstände gerät.
Über den Umfang seines Umsatzes kann ich mir dadurch einigermassen ein Bild machen, wenn ich seine Einkäufe bei unserem Verlag ansehe: In den Monaten Oktober bis Dezember 1950, also in den Monaten des Herbst und Weihnachtsgeschäftes wurden von ihm bei unserer Auslieferung insgesamt um rund S 1.300,-- (!) eingekauft, wovon er noch jetzt einen Teil schuldig ist und den Saldo in kleinen Raten abträgt. Wenn man in Betracht zieht, dass sich die durchschnittlichen Ladenpreise heute um S 50,-- und zum Teil auch darüber bewegen, kann man sich von der geringen Anzahl der bezogenen Bücher ein Bild machen, im gleichen Zeitraum verkauften wir an andere, im Umfang etwa gleich grosse Buchhandlungen in Wien, um ein vielfaches dieses Betrages.
Es schaut meiner Meinung nach ziemlich triste aus. Die Monate Feber und März 1951 werden im Wiener Buchhandel allgemein als die schlechtesten Monate seit langer Zeit bezeichnet. Ob und wie sich Stary halten oder erfangen wird können, erscheint mir durchaus nicht sicher.

Ich hoffe, Ihnen damit ein für Sie anschauliches Bild der Lage bei Stary gegeben zu haben und stehe Ihnen zu weiteren Auskünften gerne zur Verfügung.

Wie geht es Ihnen? Wir haben schon lange nichts voneinander gehört. Sie klagten ja auch immer über Zeitmangel und mir wird die Zeit in meiner jetzigen Firma auch zu wenig. Es würde mich freuen, bei Gegegenheit von Ihnen zu hören. Falls Sie im heurigen Sommer tatsächlich nach Österreich kommen, werden wir sicher Gelegenheit haben, uns einmal ausführlich zu unterhalten.

Mit besten Grüssen an Sie und Ihre Frau