HHStA, Cab.Kanzlei 1904/Akt 556

Vortrag
des
Leiters des Ministeriums des Innern, Minister-Präsidenten
Dr. von Koerber

ddo 21. Februar 1904.

No. 611. wegen Verleihung des Titels eines kaiserlichen Rates an den Obmann des Asylvereines für Obdachlose in Wien Adolf Künast und des Titels eines Baurates an den Architekten Max Fleischer in Wien.
Der Asylverein für Obdachlose in Wien wurde 1870 gegründet und verfolgt den Zweck, Unterstandslose vor dem ärgsten Elende zu schützen, denen in einer im III. Wiener Gemeindebezirk befindlichen Anstalt Nahrung und Unterkunft gewährt wird. Die Anstalt wurde im vorigen Jahre bedeutend und mit einem Kostenaufwande von mehr als 300.000 K vergrößert und die Anzahl der für Obdachlose zur Verfügung stehenden Betten auf 430 erhöht.

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Wenn der Verein, welchen Eure Majestät im Juli 1903 [:358 Corr:] durch die Ag. Übernahme des Ah. Protektorates zu beglücken geruhten, auf eine ungemein ersprießliche humanitäre Tätigkeit zurückblicken kann, so ist dies vor allem dem rührigen und zielbewussten Wirken des Vereins-Obmannes Adolf Künast zu danken.
Künast, 1845 geboren, ließ sich 1869 in Wien nieder, woselbst er zunächst als Vertreter einer Zeresinfabrik tätig war und ist seit 1882 Inhaber einer am Hohen Markte befindlichen Buchhandlung, welche zu den bedeutendsten Buchhandlungen am Wiener Platze zählt. Außerdem ist Künast seit 1884 Eigentümer der periodischen Druckschrift „A. Hugo´s Jagdzeitung“; auch ist derselbe eines der eifrigsten Ausschussmitglieder des ornithologischen Vereines in Wien.
In Anerkennung seines ersprießlichen Wirkens auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Literatur und speziell jener der Ornithologie und des Jagdwesens wurde Künast durch die Ag. Verleihung des Ritterkreuzes des Franz Joseph-Ordens Ah. ausgezeichnet. (K.Z.380 ex 1887) Der Genannte erfreut sich in ganz Wien ungeteilter Sympathien, lebt in günstigen Vermögensverhältnissen und hat stets eine vollkommen korrekte Haltung beobachtet. Seine aufopferungsvolle

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Hingebung hat in erster Linie dazu beigetragen, daß das Anstaltsgebäude /des Asyls für Obdachlose/ in verhältnismäßig kurzer Zeit eine so bedeutende Erweiterung erfuhr.
Diese in jeder Hinsicht gelungene umfangreiche Bauführung, die mustergültig ist, bietet Anlaß auch die Verdienste, welche sich bei derselben der Architekt Max Fleischer erworben hat, hervorzuheben; der Genannte hat die Pläne für die Erweiterungsbauten ausgearbeitet und wurde mit der Aufsicht über die Bauführung betraut.
Fleischer, 1847 geboren, studierte an der Akademie der bildenden Künste in Wien und etablierte sich 1887 als selbständiger Architekt; als solcher erfreut er sich im Kreise seiner Berufsgenossen eines ausgezeichneten Rufes. In Anerkennung seiner ersprießlichen Mitwirkung beim Baue des neuen Rathauses in Wien, dessen innere Einrichtung unter seiner Leitung erfolgte, wurde er 1883 durch die Ag. Verleihung des goldenen Verdienstkreuzes mit der Krone Ah. ausgezeichnet (K.Z. 3413:).
Er hat in sittlicher und staatsbürgerlicher Hinsicht stets eine tadellose Haltung beobachtet, erfreut sich einer sehr geachteten Stellung und ist stets bereit gemeinnützige und humanitäre Unternehmungen in munifizenter Weise zu fördern. Auch ist derselbe seit 1880 Vorstandsmitglied der israelitischen Kultusgemeinde in Wien.
Der Statthalter in Niederösterreich beantragt die Er=

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wirkung der Ag. Verleihung des Ordens der eisernen Krone III. Cl. für Künast und den Titel eines Baurates für Fleischer. Der Vortragende glaubt in teilweiser Abänderung des Vorschlages des Statthalters für Künast den Titel eines kaiserlichen Rates als die der Lebensstellung und den Verdiensten desselben angemessene Ah. Auszeichnung bezeichnen zu sollen.
Was den vom Statthalter weiters für die Ag. Verleihung des Ordens der eisernen Krone III. Cl. in Vorschlag gebrachten Obmannstellvertreter des Asylvereins für Obdachlose Heinrich Pollak anbelangt, glaubt Dr. von Koerber von einer au. Antragsstellung absehen zu sollen, da der Genannte bereits durch die Ag. Verleihung des Ritterkreuzes des Franz-Joseph-Ordens ausgezeichnet ist und dermalen ein ausreichender Anlaß nicht vorliegt, denselben für eine neuerliche Ah. Auszeichnung der Gnade Euerer Majestät gegenwärtig zu halten.

Erledigung I. Entwurf
Am 1. März 1904.

Pápay
Mardegani
AhE.

Ich verleihe dem Obmann des Asylvereines für Obdachlose in Wien Adolf Künast den Titel eines kaiserlichen Rates und dem Architekten Max Fleischer in Wien den Titel eines Baurates, beiden mit Nachsicht der Taxe.

FJ