Josef Franz Ratschky (1757–1810)
an Georg Joachim Göschen
Wien am 29ten
November 1797.
Hochgeehrter Herr und Freund!
Gestern spät abends erhielt ich Ihre
freundschaftliche Zuschrift vom 21ten d. M., und sogleich
heut morgens machte ich mich, um wegen des Kupferstechers John
Erkundigung einzuziehen, auf die Beine. Da ich ihn in keiner Todtenliste
gelesen, so zweifelte ich zwar ohnehin nicht, daß er lebe.
Um aber die Sache ganz gewiß zu sagen, ging ich, weil Ihre
Beschreibung seiner Wohnung irrig ist, in die Ederische Kunsthandlung,
wo ich dann erfuhr, daß besagter Herr John zwar diesen Sommer
über mit [?] behaftet war, und sich meistens auf dem Lande
aufhielt, übrigens aber erst vor 2 Tagen persönlich
in dem ersterwähnten Handlungsgewölbe war, und mithin
zuverläßig noch unter den Lebendigen wandelt, welches
ich Ihnen hiermit zu wissen zu machen nicht säume.
Daß das mit Ihren kritischen
Bemerkungen versehene Exemplar der Strigliade ein leibhafter Nachdruck
war, können Sie mir auf mein Wort glauben. Wie es zugeht,
daß dieser Nachdruck bey dem Kommissär des Verlegers
der Originalausgabe verkauft wird, weiß ich nicht.
Wenn man aber Hrn. Wallishauser genauer kennt, so ist es nichts
unnatürliches, auf den Verdacht zu kommen, daß er,
um mir kein Honorar zu geben, aus Anlaß des glücklichen
Abgangs des Werks selbst eine zweyte Auflage unter der Hand veranstaltete,
und den unbefangenen Hrn. Liebeskind damit versah, welches ich
als ein abgesagter Feind aller unangenehmen Alterkazionen nicht
genauer untersuchen will.
Ich halte Ihre Worte in Ehren, und will glauben, daß die
unter Klopstocks Namen kursirenden Revoluzionsoden nicht von ihm
sind. Ob es aber das übrige Publikum glauben wird, zweifle
ich. Dem sey jedoch, wie ihm wolle; er hat meine Ausfälle
wegen seiner litterarischen Sünden in vollem Masse verdient.
Dennoch haben Sie mir seinetwegen das Gewissen einiger Massen
rege gemacht, und ich bin dazu entschlossen, das, was ich [ihm]
in der Strigliade wohl überlegter Massen zu Leid gethan habe,
dadurch zum Theil wieder gut zu machen, daß ich mich nächstens
daran machen werde, seine älteren Meisterwerke mittels eines
eigenen Gedichtes zu huldigen, das über meine Ehrfurcht gegen
einen Theil seiner Schriften nicht den geringsten Zweifel überlassen
soll.
In das Ihnen von mir übersandte Manuskript der Strigliade
hat sich ein grobes Versehen eingeschlichen, das ich erst nach
der Absendung bemerkt habe. Seite 229. am Schlusse der Note zum
14ten Verse des 5ten Gesangs wird nämlich
ein Vossens deutschen Homer betreffendes satyrisches Distichon
übereilter Weise auf dessen deutschen Virgil angewandt. Ich
bitte Sie, diesem Versehen, damit bis zum Drucke dieses Werkes
ja nicht darauf vergessen wird, sogleich bey dem Empfang des gegenwärtigen
Briefes gütigst abzuhelfen, den Schluß der besagten
Note /: nach den Worten: nicht radicaliter mächtig ist u.
anzufangen :/ wegzustreichen, und dafür folgende Zeilen zu
substituiren:
nicht radicaliter mächtig ist. In dem nämlichen Falle
befindet sich auch Vossens deutscher Homer, wie wenigstens ein
anonymer Epigrammatist ganz unverhohlen durch nachfolgendes leoninische
Distichon zu erkennen gibt:
Wie? Dies Kauderwälsch wär der deutsche Homer? Ha! auf
Ehre! Griechischer, Voß, als dein Werk klingt kaum der Grundtext
Homers.
Ich ersuche Sie, sich der Mühe dieser kleinen Abänderung
gefällig zu [?], und verbleibe mit der aufrichtigsten Hochachtung
und Freundschaft
der Ihrige J. Ratschky
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