Don Juan Archiv - Wien, Forschungsverlag

II. Forschungsgespräch des Don Juan Archivs

Editionen dramatischer Texte des 18. Jahrhunderts

Ort: Don Juan Archiv Wien

30. September 2008, 14 bis 17 Uhr

 

Bericht: Matthias J. Pernerstorfer

 

Zum diesem Forschungsgespräch waren Gäste mit unterschiedlichem Zugang zu Editionen dramatischer Texte des 18. Jahrhunderts geladen. Neben WissenschaftlerInnen aus den Bereichen Germanistik - Andrea Brandner-Kapfer, Beatrix Müller-Kampel und Jennyfer Zöbinger (Graz), Matthias Mansky und Johann Sonnleitner (Wien) - und Theaterwissenschaft - Ulf Birbaumer, Stefan Hulfeld, Johann Hüttner - nahmen mit Julia Danielczyk eine Vertreterin der Wienbibliothek und mit Johann Lehner ein Verleger teil. Das Don Juan Archiv Wien, das sich in mehreren Projekten auf das Edieren von Texten und in seiner Funktion als Forschungsverlag ebenso auf deren Publikation konzentriert, war durch Michael Hüttler, Matthias J. Pernerstorfer, Gabriele C. Pfeiffer, Johannes Schweitzer und Suna Suner vertreten.

 

Andrea Brandner-Kapfer: Johann Joseph Felix von Kurz (1717-1784)

 

Den Anfang machte Andrea Brandner-Kapfer, die durch ihre Dissertation Johann Joseph Felix von Kurz. Das Komödienwerk. Historisch-Kritische Edition (Graz 2007) das Textcorpus dieser bedeutenden Persönlichkeit des zentraleuropäischen Theaterlebens im 18. Jahrhundert (fast vollständig) zugänglich gemacht und damit für deren Rezeption einen wertvollen Beitrag geleistet hat. Die Dissertation gliedert sich in eine Einleitung (S. I-XIII), die Edition des Textcorpus (Titelbelege, Theaterzettel, Text: Arien, Szenare, Kanevasse und vollständige Stücke, S. 1-612), einen Kommentar (S. 613-763) sowie eine Lebens- und Werkchronik (S. 764-818).

Freudig aufgenommen wurde dieser Bericht von sämtlichen Anwesenden, besonders von Ulf Birbaumer, der mit seiner Dissertation Das Werk des Joseph Felix von Kurz-Bernardon und seine szenische Realisierung (Wien 1969) den bislang wohl wichtigsten Beitrag zu einer an der Theaterpraxis orientierten Rezeption des Schaffens von Kurz geliefert hat. Man war sich einig, dass eine Publikation dieser Arbeit wünschenswert wäre. Glücklicherweise ist eine solche - im Lehner Verlag - geplant (ob in vollem Umfang oder nur zu Teilen, ist bislang noch nicht geklärt). Stefan Hulfeld regte an, eine Kurz-Tagung zu veranstalten, um die Bedeutung dieses Theatermanns wieder ins kulturelle Bewusstsein zu holen - ein günstiger Rahmen für eine Präsentation der gedruckten Kurz-Edition.

 

Matthias J. Pernerstorfer: Der 30jährige ABC-Schütz

 

Eines der Stücke von Johann Joseph Felix von Kurz - Bernardon, Der 30,,iährige A,b,c Schütz: oder Hanswurst der reiche Baur und Pantalon der arme Edelmann (ÖNB Cod. 13.193, S. 41 - 61r) - stellt die erste Station eines Projektes des Don Juan Archivs Wien zum 30jährigen ABC-Schütz dar. In diesem sollen sämtliche Versionen des Stückes von Kurz, möglicherweise von Friedrich Wilhelm Weiskern (1711-1768) sowie von Carl Friedrich Hensler (1759-1825), die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder mit Erfolg aufgeführt wurden, ediert, kommentiert und in ihrer theatergeschichtlichen sowie gesellschaftspolitischen Funktion interpretiert werden.

Ein Ansatz zu einer theatersoziologischen Interpretation findet sich etwa in Johann Sonnleitners Hinweis auf die Entschärfung des Kurz-Stückes in der Darstellung des Verhältnisses zwischen Instructor und Studentl sowie zwischen Vater und Sohn durch Hensler im Jahre 1799. Der Vergleich zwischen den unterschiedlichen Ausprägungen der ABC-Schütz-Figur in den einzelnen Versionen - Bernardon, Jackerl, Thaddädl - lässt überdies figurentypologische Deutungen zu, wie Beatrix Müller-Kampel deutlich machte. Ein interessanter theaterhistorischer Aspekt ist, dass gerade dieses Stück auf der Hanswurstbühne im Prater während der Internationalen Austellung für Musik- und Theaterwesen im Jahre 1892 als typisches Altwiener Lustspiel aufgeführt wurde, und zwar in einer Version, die möglicherweise auf Kurz selbst zurück geht, bei der es sich - worauf Johann Hüttner hinwies - aber auch um eine Fälschung handeln kann. Spannend ist sie in beiden Fällen.

 

Jennyfer Zöbinger: Karl Edler von Marinelli (1745-1803)

 

Ein Editionsprojekt zu Marinellis Werken stellte Jennyfer Zöbinger vor. In ihrer Diplomarbeit Karl von Marinelli (1745-1803). Autor, Schauspieler und Theaterdirektor (Graz 2007) hat sie sich dieser Persönlichkeit, die von der Forschung in erster Linie als Gründer und Direktor des Theaters in der Leopoldstadt behandelt wurde, eingehend gewidmet. Nun steht das dramatische Werk im Zentrum des Interesses. Zu nennen sind drei Vorspiele und zwei Gelegenheitsstücke, in welchen Marinelli als schreibender Theaterdirektor erscheint, fünf bürgerliche Lustspiele und drei Volkskomödien, von welchen Dom Juan, oder Der steinerne Gast. Lustspiel in vier Aufzügen nach Molieren, und dem spanischen des Tirso de Molina (el Combidado de piedra) für das Theater bearbeitet. mit Kaspars Lustbahrkeit (Wienbibliothek H.I.N. 156955) für das Don Juan Archiv Wien von besonderem Interesse ist. Wahrscheinlich zählt auch das Szenar Der Spaziergang im Brader oder Casperle das närrische Studentl, und Hannswurst der einfältige Hofmeister (ÖNB Cod. 13.608) zu den Werken Marinellis und wäre als viertes 'Kasperlstück' zu zählen. In der geplanten Buchpublikation, die sich an die Dissertation anschließen soll, werden sowohl die Person Marinelli in ihren unterschiedlichen Facetten - Autor, Schauspieler, Theaterdichter - als auch die Texte berücksichtigt.

 

Matthias Mansky: Cornelius von Ayrenhoff (1733-1819)

 

Das Projekt einer kommentierten Auswahlausgabe der Lustspiele von Cornelius von Ayrenhoff, der heute, wie die meisten österreichischen Literaten des 18. Jahrhunderts, beinahe gänzlich aus dem Bewusstsein der Fachöffentlichkeit verschwunden ist, stellte Matthias Mansky vor. Ayrenhoff, im bürgerlichen Beruf Offizier in der k. k. Armee, hat nach seinem Tod ein umfangreiches Werk hinterlassen. Neben sieben Trauerspielen, 14  Komödien und einigen kleineren dramaturgischen Schriften, steht auch ein wenig beachteter Italienreisebericht zu Buche (Briefe über Italien). Die größten Erfolge konnte Ayrenhoff mit den noch heute qualitativ hochwertigen Lustspielen verbuchen. Seine berühmteste Komödie Der Postzug oder die noblen Passionen konnte sich neben dem singulären Lob Friedrich des Großen (De la littérature allemande) auch den Zuspruch zahlreicher anderer Kritiker erwerben.

Seit Ayrenhoffs Lebzeiten (Werkausgaben 1789, 1803, 1814) sind seine Schriften nicht mehr ediert worden. Lediglich C. E. Posers unglücklicher Postzug-Neudruck stellt eine Ausnahme dar. Das Ziel Edition besteht darin, durch eine kommentierte Neuauflage der Lustspiele und der dramentheoretischen Texte, Ayrenhoffs Werke wieder einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Zudem sollen Dokumente der Rezeption (Broschüren, Rezensionen etc.) die Publikumswirkung der Stücke bzw. dramentheoretische Diskurse erläutern.

 

Johann Sonnleitner: Joseph von Sonnenfels (1733/34-1817)

 

Nachdem Johann Sonnleitner Hanswurstiaden (1996) sowie Philipp Hafners Komödien (2001) und Burlesken und Prosa (2007) ediert hat, beschäftigt er sich nun mit einem Autor, der für die dramatische Produktion im Wien des 18. Jahrhunderts von großer Bedeutung war, obwohl er selbst keine Stücke verfasste: Joseph von Sonnenfels. Sonnleitners Anliegen ist die Neuausgabe der zehnbändigen Ausgabe der Gesammelten Schriften (1783/87). Da es sich nicht um eine Reprintausgabe handeln wird und Sonnenfels' Werke im Volltext zur Verfügung stehen sollen, ging Sonnleitner ausführlich auf die Digitalisierung von Drucken in Frakturschrift ein, wobei er nach langjähriger Erfahrung das Programm fine reader empfiehlt.

 

Allgemeine Diskussionspunkte

 

Da neben Editorinnen und Editoren auch Gäste aus dem Bibliotheks- und Verlagswesen anwesend waren, wurden neben wissenschaftlichen Aspekten zu den einzelnen Editionsvorhaben auch Fragen der Publikation diskutiert. Um vorzubeugen, dass zugleich von mehreren Seiten dieselben Projekte durchgeführt werden, unterstrich Julia Danielczyk von der Handschriftensammlung der Wienbibliothek die Notwendigkeit der Bekanntgabe bzw. Information über aktuelle Editonsprojekte bei den Institutionen, die jene Texte beherbergen, die ediert werden sollten. Zu diesem Zwecke wurden vonseiten des Don Juan Archivs Wien die Forschungsgespräche eingeführt, und auf der Homepage des Archivs wird eine Seite eingerichtet, auf der Forschungsvorhaben aus verwandten Gebieten vorgestellt werden können.

Im Zusammenhang mit der Frage nach Möglichkeiten zu Finanzierung und Publikation von Editionen stellte Julia Danielczyk die neue Publikationsreihe der Wienbibliothek Manu Scripta vor, deren erster Band zu Anastasius Grün derzeit in Bearbeitung ist. In den Bänden dieser jährlich erscheinenden Reihe werden Manuskripte und Briefe der Handschriftensammlung in Form einer Studienausgabe mit ausführlicher Einleitung, Kommentar und Nachwort veröffentlicht. Es ist geplant, auch dramatische Texte des 17. und 18. Jahrhunderts zu edieren.

Johann Lehner, der sich durch die Herausgabe der Reihen Nestroyana und Quodlibet der Internationalen Nestroy-Gesellschaft sowie die Texte und Studien zur österreichischen Literatur- und Theatergeschichte, in welchen Johann Sonnleitner seine Philipp Hafner-Edition heraus brachte, um die Publikation von Texten des bzw. zum Wiener Volksttheater verdient gemacht hat, stellte seine Arbeit und die Möglichkeiten, die sein Verlag für entsprechende Projekte bietet, vor. Eines davon ist die genannte Dissertation von Andrea Brandner-Kapfer, die im Lehner Verlag erscheinen soll. Kontroversiell diskutiert wurden Nutzen und Nachteil einer Publikation nur eines Teils der Edition der Werke von Johann Joseph Felix von Kurz sowie von Veröffentlichungen von Texten im Internet. Beatrix Müller-Kampel stellte in diesem Rahmen das Projekt LiTheS der Universität Graz vor, das unter dem Titel Literatur und Komik. Kasperl & Co. eine - ständig wachsende - Sammlung von Texten zum Thema online zugänglich macht.

Die Kasperl-Stücke einiger Autoren werden im FWF-Projekt Mäzene des Kasperls an der Universität Graz behandelt: Ferdinand Eberl (2. Hälfte 18. Jh.), Carl Friedrich Hensler (1759-1825), Leopold Huber (1764-1847), Joachim Perinet (1763-1816) sowie Marinelli. Johann Sonnleitner argumentierte, dass der Blick auf die gesamte dramatische Produktion in Wien und deren Entstehungskontext im 18. Jahrhundert gerichtet werden müsse. So wurden eine Reihe von weiteren Namen genannt, die als Kandidaten für künftige Editionsprojekte in Frage kommen: Tobias Philipp Freiherr von Gebler (?1726-1786), Franz Heufeld (1731-1795), Joseph Ferdinand Kriegsteiner (?1776-1810), Emanuel Schikaneder (1751-1812), Paul Weidmann (1744-1801) und Friedrich Wilhelm Weiskern (1711-1768).

Um das gesamte Feld abzudecken, wurde von Beatrix Müller-Kampel auf die Notwendigkeit einer intensiven Zusammenarbeit und die Möglichkeiten, die durch das FWF-Projekt NIKE gegeben sind, hingewiesen. Dieses Projekt könnte für eine kooperative Aufarbeitung dramatischer Texte des 18. Jahrhunderts geeignet sein, da damit aus mehreren Teilprojekten bestehende Forschungsvorhaben, die der Sicherung des kulturellen Erbes dienen und u.a. als Handschriften- und Quelleneditionen sowie Kritische Werksausgaben angelegt sind, gefördert werden (Kurzprogrammtext).

 

Resümee

 

Das Zweite Forschungsgespräch im Don Juan Archiv Wien zu Editionen dramatischer Texte des 18. Jahrhunderts bot die Möglichkeit zur Präsentation und Diskussion aktueller Editionsprojekte an den Instituten für Germanistik in Wien und Graz sowie dem Don Juan Archiv Wien. Dabei zeigten sich einerseits Überschneidungs- und Anknüpfungspunkte, andererseits wurden Ergänzungsmöglichkeiten sichtbar, da die Auswahlkriterien, nach welchen die Entscheidung für die Edition bestimmter Texte vorgenommen wird, unterschiedlich sind. Eine Kooperation der beteiligten Personen in wissenschaftlicher und organisatorischer Hinsicht erscheint sinnvoll. Mit der Wienbibliothek und dem Lehner Verlag bekundeten zwei für Editionen dramatischer Texte des 18. Jahrhunderts wichtige Institutionen ihr Interesse an einer Zusammenarbeit.

Mit diesen positiven Perspektiven schloss das Zweite Forschungsgespräch im Don Juan Archiv Wien. Im Anschluss daran gab es ein Abendessen im Glacis-Beisl im Museumsquartier, bei dem die Gespräche noch vertieft werden konnten.

 

 

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Letztes Update: 11.02.2015