Deutschsprachige Fassung der Eröffnungsrede von Matthias J. Pernerstorfer zur Lectio Magristralis Riflessioni sul diritto della chiesa tra oriente e occidente (Reflexionen zum Kirchenrecht zwischen Orient und Okzident) von Kardinal Francesco Coccopalmerio am 27. März 2015 im Don Juan Archiv Wien.
Ehrwürdigste Eminenz,
sehr geehrter Herr Nuntius,
sehr geehrte Damen und Herren!
Ein Kardinal hält in einem „Don Juan Archiv“ einen Vortrag. Das verwundert auf den ersten Blick, doch betrachten wir die fast 400jährige Geschichte des Don-Juan-Stoffes, legt sich diese Irritation rasch. Am Beginn der Tradition steht ein Geistlicher – der Mercedariermönch Tirso de Molina (Gabriel Téllez, 1579–1648), dem die erste erhaltene Version des Stückes zugeschrieben wird. Ein Kleriker also war es wohl, auf den die geniale Verknüpfung der volkstümlichen Geschichte vom Steinernen Gast mit der Figur des Don Juan zurückgeht.
Das historische Modell für diese Figur bot, wie von H. E. Weidinger betriebene Forschungen äußerst wahrscheinlich machen, jene Person, die von Papst Pius V. 1571 zum „Generalkapitän der Meere“ ernannt wurde und am 7. Oktober des Jahres bei der Schlacht von Lepanto die Flotte des Osmanischen Reiches vernichtend schlug: der damals 24jährige natürliche Sohn Kaiser Karls V., Don Juan de Austria (1547–1578).
Don Juan zählt zu den großen Figuren der europäischen Theater- und Kulturgeschichte und wurde vielfach als südlich-katholisches Pendant zum nordisch-protestantischen Faust verstanden. Unabhängig davon, was man von einem solchen bipolaren Geschichtsverständnis hält, ist doch festzustellen, dass es besonders katholische Städte, Regionen und Länder waren, in denen Don Juan Verbreitung fand: Die Hauptlinie geht von Spanien über Italien nach Frankreich und ins Heilige Römische Reich. Zudem wurden etwa in Wien im 18. und frühen 19. Jahrhundert über mehrere Jahrzehnte Don-Juan-Stücke vor allem in der Allerseelenoktav gespielt, in Italien war es ähnlich, und in Spanien existierte eine vergleichbare Tradition das ganze 19. Jahrhundert hindurch.
Für uns als Don Juan Archiv steht die Geschichte des Don-Juan-Stoffes von den Anfängen als christliches Moralstück bis zur „Oper aller Opern“, dem Dissoluto punito o sia Il Don Giovanni von Lorenzo da Ponte und Wolfgang Amadé Mozart, im Zentrum des Interesses. Einen spannenden Rezeptionsstrang bilden die Aufführungen von Don-Juan-Stücken auf dem Theater von Ordensschulen, das einen Schwerpunkt in der Forschungsbibliothek des Don Juan Archivs bildet. Mit der Sammlung Reinhart Meyer besitzt es Kopien von rund 5.000 Programmheften, allen voran aus Jesuitenkollegien, aber auch aus Schulen der Benediktiner, Zisterzienser und Piaristen, deren österreichischer Hauptsitz hier in der Wiener Josephstadt liegt. An keinem Ort der Welt können Sie mehr von diesen heute relativ seltenen Texten finden.
Reinhart Meyers Schriften zur Theater- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, die 2012 als erster Band der Reihe „Summa Summarum“ des Don Juan Archivs erschienen sind, zeigen sehr imposant die Bedeutung des lateinischsprachigen Ordenstheaters, denn immerhin war Latein bis 1750 jene Sprache, in der die meisten Uraufführungen im Heiligen Römischen Reich stattgefunden haben. Geht man davon aus, dass an diesen Aufführungen durchschnittlich 50 Schüler und Lehrende mitgewirkt haben – das ergibt bei 5.000 Aufführungsserien rund 250.000 Mitwirkende –, wird deutlich, wie wichtig die Orden in der Theatergeschichte sind.
In dieselbe Richtung weist das 2013 erschienene Lexikon des Theaters in Böhmen, Mähren und Schlesien, an dem das Don Juan Archiv ebenfalls beteiligt gewesen ist. Darin wird – sofern bekannt – die Schulbildung der beschriebenen Persönlichkeiten genannt, und es ist höchst aufschlussreich, wie viele der Protagonisten des Theaterlebens erste Erfahrungen mit dem Theater in einer Ordensschule gemacht haben.
Durch seine Veranstaltungen, Publikationen und die Bereitstellung von Forschungsmaterialien hat das Don Juan Archiv einen nicht unwesentlichen Anteil an der Erforschung des Ordenstheaters. Dies schlägt eine Brücke zu unserer Schwesternabteilung STVDIVM FÆSVLANVM: Für beide ist das Thema der Plantatio ecclesiae von großer Bedeutung – sei es nun kirchengeschichtlich, ausgehend von Fiesole, einer der ältesten Diözesen der Toskana, im Zusammenhang mit den Anfängen des Christentums, oder eben theaterhistorisch dem Ordenstheater im Sinne der „Einpflanzung der (wahren) Kirche“ in die Herzen der Jugend.
Zum Abschluss ein kleiner Ausblick: Ebenfalls in den sakralen Bereich gehört eine Tagung, die kurz nach Ostern in diesen Räumen stattfinden wird. Sie trägt den Titel „Vom Aschermittwoch zum Heiligen Grab. Passion und Theater im Barock“ und ist der Entwicklung der (theatralen) Feierlichkeiten während der Fastenzeit und der Karwoche gewidmet. Wenn die theaterhistorische Forschung die Nähe zu religiösen Praktiken ernst und zum Anlass für weitere Studien nimmt, öffnet sich ein weites Feld.
In diesem Sinne freut es mich sehr, Sie, Ehrwürdigste Eminenz, begrüßen zu dürfen, und gebe ich das Wort weiter an Pierantonio Piatti vom Päpstlichen Komitee für Historische Wissenschaften.
Vielen Dank.