Workshop
ÖDÖN VON HORVÁTH - DON JUAN KOMMT AUS DEM KRIEG
Don Juan Archiv Wien
Trautsongasse 6/6, 1080 Wien
in Kooperation mit dem Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek
2. Mai 2013, 14-17 Uhr
Organisation und Moderation: Matthias J. Pernerstorfer
Beatrix Müller-Kampel: Horváths Don Juan und die Don-Juan-Tradition
Nicole Streitler-Kastberger: Don Juan und Figaro - Intertextuelle Strategien im Spätwerk Horváths
Angelika-Ditha Morosowa: Liebe, Sehnsucht, Tod - Motivkreise in Horváths Werk
Textanalyse und szenische Lesung mit Hannelore Fischer und Gerhard Dorfer.
Um Voranmledung wird gebeten: office(at)donjuanarchiv(dot)at
Beatrix Müller-Kampel
Institut für Germanistik der Universität Graz, beatrix.mueller-kampel(at)uni-graz(dot)at
Geboren 1958, ao. Univ.-Prof. für Neuere Deutsche Literatur am Institut für Germanistik der Universität Graz, Professeur associé der Université Catholique de l’Ouest in Angers. Forschungsschwerpunkte: Literatur- und Theatersoziologie (P. Bourdieu, N. Elias), Geschichte des Lachens und der Komik, Österreichisches Theater des 18. Jahrhunderts. Habilitationsschrift über Dämon – Schwärmer – Biedermann. Don Juan in der deutschsprachigen Literatur bis 1918 (Berlin: Erich Schmidt 1993); seither mehrere Publikationen zu Don Juan/Don Giovanni. Gründerin und Co-Herausgeberin von LiTheS. Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie: http://lithes.uni-graz.at/lithes.html
Horváths Don Juan und die Don Juan-Tradition
Auf den gegenwärtigen Spielplänen des deutschsprachigen (Sprech-)Theaters wird man Don Juan nur selten begegnen – allenfalls seinen schwerblütigen Namensvettern aus Ödön von Horváths Aktualisierung Don Juan kommt aus dem Krieg oder Max Frischs Komödie Don Juan oder die Liebe zur Geometrie. Doch sind diese Don-Juan-Figuren – der eine ein herzkranker Kriegsheimkehrer auf der Flucht vor den Frauen, der andere ein ambitiöser Intellektueller – überhaupt noch als solche anzusprechen? Die Geschichte des Don-Juan-Mythos mit seinen über 3.000 Ausprägungen erweckt zuallererst den Eindruck einer höchst unzusammenhängenden Anhäufung von Texten, eines reichlich verwirrenden Kunterbunts aus Konzepten, Gestaltungsverfahren und literarischen Kommunikationsschemata. Dennoch wird man manche übergreifende Entwicklungslinien nicht übersehen dürfen. Sie betreffen in erster Linie das charakterliche Profil der Hauptfigur. Am Beginn der Themengeschichte steht ein Räuber, Gotteslästerer, Frauenschänder, Totschläger, Vater- und Brudermörder, ein Erzbösewicht, der seine Missetaten skrupellos, ohne an Zukunft, Himmel und Hölle zu denken, ausführt, unbändige Freude daran findet und so grässlich zu Tode kommt, wie er lustvoll gelebt hat. Am Ende tritt uns ein kultivierter Frauenliebling entgegen, dessen Hang zum schönen Geschlecht sich schon längst nicht mehr in körperlicher Gewalt Bahn bricht, sondern der alle seine erotischen und aggressiven Regungen beobachtet, analysiert, sie zu zähmen, verbergen, abzudrängen sucht. Don Juan ist friedlicher geworden, Verhalten und Charakter haben sich verfeinert, er beginnt, auf die Wünsche der begehrten Frauen und der Nebenbuhler Rücksicht zu nehmen und befindet sich ständig in irgendwelchen Gewissensnöten. In die Begrifflichkeit der Kulturtheorie von Norbert Elias übersetzt, hieße dies, dass an Don Juan offenbar zivilisatorische Prozesse wirksam geworden sein müssen. Dem entsprechen die veränderten Funktionen oder überhaupt das Verschwinden des Steinernen Gastes. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hat Don Juan vollends jede Freude an der selbstgenügsamen Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse verloren. Don Juan kämpft immer seltener mit äußeren Feinden wie gehörnten Ehemännern oder beleidigten Vätern und immer stärker gegen die eigene donjuaneske ‚Natur‘ an. Er liegt in Fehde mit sich selber. Don Juan, die feudale sexuelle Großmacht von einst, liegt in den Ketten bürgerlicher Moralvorstellungen, ohne doch seine Faszination eingebüßt zu haben (für die Autoren ebensowenig wie für die vorgeführten Frauen). Horváths Don Juan markiert und repräsentiert als Männlichkeitskonzept jene quasi kollektivbiographische Phase des Helden, in welcher dieser sich vom Täter zum Opfer, vom Helden zum Anti-Helden, vom erotischen Aktionisten zum Objekt der Frauen wandelt. Er ist geworden, was einer früheren Zeit undenkbar gewesen wäre: Steinerner Gast seiner selbst.
Nicole Streitler-Kastberger
Geboren 1972 in Dornbirn/Österreich. Literaturwissenschaftlerin, Literaturkritikerin und Autorin. Studium der Germanistik und Romanistik an der Universität Wien. Dissertation zum Thema Musil als Kritiker (Bern: Peter Lang 2006). Universitätslektorin in Nizza/Frankreich und Bari/Italien. Mitarbeit an der digitalen Gesamtedition der Werke Robert Musils (KARMA). Lehrbeauftragte an der Universität Wien. Seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Wiener Ausgabe der Werke und Briefe Ödön von Horváths am Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, u. a. erschienen: Don Juan kommt aus dem Krieg. Hrsg. v. Nicole Streitler unter Mitarbeit von Julia Hamminger und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2010; zuletzt: Ödön von Horváth: Eine Unbekannte aus der Seine. Hin und her. Hg. v. Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar. Berlin: de Gruyter 2012.
Figaro und Don Juan – Intertextuelle Strategien im Spätwerk
Horváths Arbeit an der Komödie Figaro läßt sich scheiden erstreckt sich auf die Zeit zwischen Juni/Juli 1934 und Oktober 1936. Genau parallel zur Arbeit am Figaro verlief die Werkgenese des Schauspiels Don Juan kommt aus dem Krieg, was sich besonders gut im Notizbuch o. Nr. (ÖLA 3/W 367 – o. BS) aus den Jahren 1934/35 verfolgen lässt, wo Entwürfe und Textstufen zu den beiden Stücken einander abwechseln.
Insgesamt war es keine leichte Zeit für den Autor. Seit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 waren ihm die deutschen Bühnen versperrt, und das, obwohl er 1931 den Kleist-Preis bekommen hatte, eine der wichtigsten Dramatiker-Auszeichnungen des deutschsprachigen Raums. Mehrere in Berlin geplante Aufführungen (Glaube Liebe Hoffnung, Eine Unbekannte aus der Seine, Hin und her und Himmelwärts) kamen nicht zuletzt durch den Druck der deutschnationalen Presse nicht zustande. Ernüchtert über seine Chancen im Deutschen Reich, übersiedelt Horváth schließlich im September 1935 wieder einmal nach Wien, wo er sich zuhause und doch im Exil fühlt. Hier versucht er, im österreichischen Bühnenbetrieb Fuß zu fassen. Dass er sich dabei nicht zuletzt an österreichischen kulturellen Leitfiguren orientierte, verwundert nicht, war Horváth doch seit jeher ein Publikumsautor. So kam er wohl auf Don Juan und Figaro, die beide durch Mozarts Opern tief im österreichischen kulturellen Bewusstsein verankert waren.
Der Vortrag versucht zu zeigen, wie die Genese der beiden Stücke letztlich aus den beiden Opern entspringt, die Horváth gekannt und möglicherweise in dieser Zeit gesehen hat, wie sie sich aber allmählich von den Mozart-Vorlagen emanzipiert, ja wie diese in den Endfassungen nur noch eine marginale Rolle spielen. Mit dem Verweis auf andere Texte, die Horváth in dieser Zeit geschrieben hat, lässt sich Horváths intertextuelle Strategie beschreiben, die sich der Vorlagen bedient, jedoch in einer adaptierenden Weise, die die Originaltexte anverwandelt, seltener, so etwa im Stück Ein Dorf ohne Männer (1937) oder auch in Figaro läßt sich scheiden, durch wörtliche Zitate, die Horváth fallweise, aber immer ohne Markierung einsetzt. Zuletzt soll, mit einem Blick auf Horváths letzte Texte, Jugend ohne Gott (1937), Pompej (1937) und Ein Kind unserer Zeit (1938), auch die Frage nach dem Rückgriff auf konventionelle Themen und Motive in der Exilliteratur insgesamt diskutiert werden.
Angelika-Ditha Morosowa
Ausbildung in Totalem Theater, Pantomime, Clownschule in Rom, Hospitantin, Regie-Assistentin und Pantomimin am Schauspielhaus Zürich (u. a. bei Jürgen Flimm und Gerd Heinz), Theaterkritikerin beim Tages-Anzeiger, Dissertation im Fach Literaturkritik bei Professor Werner Weber über Motivkreise in Ödön von Horváths dramatischem Werk (Zürich: Edition Leu 1988) Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit am Schauspielhaus Zürich unter Direktor Achim Benning, Russisch-Dolmetscherin und Sprachcoach am Opernhaus Zürich. Künstlerische Leiterin der Gfenner Musikspezialitäten. Inszenierung von N. Rimsky-Korsakows Kammeroper Mozart und Salieri im Rahmen des Musiksommers am Zürichsee. Zahlreiche Lesungen im gesamten deutschsprachigen Raum.
http://www.facebook.com/pages/Angelika-Ditha-Morosowa/184001661697616?ref=hl
Hannelore Fischer
geboren in Wien, besuchte nach der Schulzeit das berühmte Max-Reinhardt-Seminar und schloss ihre Ausbildung zur Schauspielerin mit Auszeichnung ab. Sie spielte jahrelang an großen Bühnen wie dem Düsseldorfer Schauspielhaus, Residenztheater München, Kurfürstendammtheater Berlin, Hamburger Thalia-Theater und Züricher Schauspielhaus bedeutende Rollen, u. a. die Salome Pockerl in Nestroys Der Talisman. Hannelore Fischer veröffentlichte Geschichten in Anthologien und Bücher u. a. im Rowohlt Verlag. Sie wirkte in Radiosendungen mit und gab szenische Lesungen am Wiener Volkstheater, am Schauspielhaus Zürich sowie im Sogar-Theater Zürich und lebt als freie Schriftstellerin in der Nähe von Zürich.
http://www.hannelorefischer.com/hannelore-fischer/
Gerhard Dorfer
geboren in Wien. Nach der Ausbildung zum Schauspieler am Konservatorium in Wien führte ihn sein beruflicher Weg über Stuttgart und Frankfurt nach Zürich. Nach seiner Rückkehr nach Österreich war er Mitglied im Ensemble des Theaters in der Josefstadt (1985–1987) und des Wiener Volkstheaters (1987–1988). Dorfer lebt als freier Schauspieler, Regisseur und Autor im niederösterreichischen Waldviertel. Im Fernsehen war Gerhard Dorfer außer als Polizeihofrat Putner, den er über 14 Jahre in mehr als dreißig österreichischen Tatort-Folgen verkörpert hat, in den meisten großen österreichischen TV-Produktionen von Kottan und Kaisermühlen-Blues bis Schlosshotel Orth präsent. Gerhard Dorfer ist ein sehr erfahrener und renommierter Horváth-Schauspieler.
Liebe, Sehnsucht, Tod – Motivkreise in Horváths Werk
Textanalyse und szenische Lesung
In Ödön von Horváths dramatischem Werk kehren gewisse Motivkreise immer wieder, beinahe unabhängig vom Werk und der Entstehungszeit. Hier werden die Themen „Liebe, Sehnsucht und Tod“ anhand einzelner Dialogpassagen genauer betrachtet. Es geht um die große Sehnsucht nach Liebe, die aber unerfüllt bleibt – vielleicht bleiben muss, da ein Ideal kein Ideal mehr ist, wenn es erreicht wird – und häufig zum Tod der Frau führt. Zu Beginn wird der kurze Prosatext Geschichte einer kleinen Liebe gelesen, in der das Ideal für einen kurzen Moment erreicht wird, aber auch hier schwingen Todesbilder (Herbst, Schnee) mit. Dieser Motivkreis kommt u. a. in den Schauspielen Der jüngste Tag und Don Juan kommt aus dem Krieg vor. Horváth bricht häufig Ebenen, was eine Interpretation erschwert: einmal ironisiert er Kitschglauben an die ewige Liebe (wie z. B. in Zur schönen Aussicht), mal wechselt eine Figur ihre Dimension von real zu metaphysisch (in Glaube Liebe Hoffnung und Der jüngste Tag), ein andermal gibt es Texte, in denen diese Brüche auftauchen, die dann in der Endfassung nicht mehr oder kaum noch vorhanden sind (Geschichten aus dem Wienerwald, Don Juan kommt aus dem Krieg). Immer gibt es ein Sich-Kennen und Sich-Wiedererkennen aus einer anderen Zeit/Leben: am deutlichsten in der Begegnung von Anna und Hudetz vor Annas Ermordung in Der jüngste Tag, aber auch in den Vorarbeiten zu Don Juan kommt aus dem Krieg. Sobald sich die zwei Menschen erkannt haben, kommt der Tod. Im Jüngsten Tag wird Anna auf eigenen Wunsch von Hudetz erschlagen, in Don Juan kommt aus dem Krieg stirbt Don Juan am Grab seiner toten Braut Anna, die er für eine Liebe im Diesseits zu spät „erkannt“ hat. Aber auch Marianne „erkennt“ Alfred in den Geschichten aus dem Wienerwald, was zu ihrem psychischen Tod führt. Horváth selbst glaubte an übersinnliche Phänomene und ging damit selbstverständlich um. Selbst sein eigener Tod wirkt so unglaublich, dass er aus einem seiner Stücke stammen könnte.