Ein Singspiel mit Musik von Johann Joseph Friebert
Zum 300. Geburtstag des Komponisten
aufgeführt am 27. Juli 2024
im Rahmen der Festspiele Europäische Wochen Passau
Es war ein verschlungener Weg zur ersten vollständigen - konzertanten - Aufführung von Johann Joseph Frieberts Singspiel Das Serail, doch die Begeisterung bei den Ausführenden wie beim Publikum zeigte, dass sich die Arbeit gelohnt hatte.
Yitian Luan „Zaide“ (Sopran)
Mario Eckmüller „Comatz“ (Tenor)
Alexander Geiger „Renegat“ (Tenor)
Sinja Maschke „Sklavin“ (Mezzosopran)
Sinfonieorchester des Passauer Konzertvereins
Markus Eberhardt Musikalische Leitung
David McShane Edition der Noten im Don Juan Archiv
Aret Güzel Aleksanyan Erzähler
Matthias J. Pernerstorfer Autor der Rahmenerzählung
Video-Mitschnitte
I/1 Zaide
Yitian Luan
I/2 Comatz
Mario Eckmüller
Yitian Luan, Mario Eckmüller
I/4 Terzett / Zaide, Comatz, Renegat
Yitian Luan, Mario Eckmüller, Alexander Geiger
I/5 Sklavin
Sinja Maschke
Yitian Luan, Mario Eckmüller
I/7 Terzett / Zaide, Comatz, Renegat
Yitian Luan, Mario Eckmüller, Alexander Geiger
II/1 Sklavin
Sinja Maschke
II/2 Renegat
Alexander Geiger
II/3 Sklavin
Sinja Maschke
II/4 Comatz
Mario Eckmüller
II/5 Comatz
Mario Eckmüller
II/6 Duett / Zaide, Comatz
Yitian Luan, Mario Eckmüller
II/7 Renegat
Alexander Geiger
Yitian Luan, Mario Eckmüller
II/9 Zaide
Yitian Luan
II/10 Comatz
Mario Eckmüller
II/11 Chor
Yitian Luan, Sinja Maschke, Mario Eckmüller, Alexander Geiger
Textfassung
Texte des Sprechers
Texte der Sängerinnen und Sänger
Prolog
Gestatten, Friebert.
Johann Joseph Friebert.
Geboren im Jahr des Herrn 1724
in Gnadendorf,
im Weinviertel,
in Österreich unter der Enns,
Diözese Passau, selbstverständlich!
Gnadendorf...
– der Name ist Programm –
musikalisch begnadet und von meinem Vater belehrt
wie meine komponierenden und dichtenden Brüder.
Ein typisch barockes Künstlerquartett.
Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
Und heute?
Nach Jahren in der Haupt- und Residenzstadt nun:
Hof- und Domkapellmeister in der Dreiflüssestadt.
Ich betone: Hof- und Domkapellmeister.
Meine Erfahrung mit dem Theater hat mich hierher gebracht
in diese Residenz eines Fürstbischofs.
Ich hatte die besten Lehrer,
war Sänger am Wiener Kärntnerthor-Theater,
der ersten Bühne im Heiligen Römischen Reich.
Dort hab ich auch den Kurz-Bernardon kennen gelernt,
ein Theaterberserker der anderen Art.
Stegreifspiel und Maschinenzauber, totales Theater!
Die Grenze zwischen Genie und Wahnsinn
liegt bekanntlich nah beieinander.
Der Joseph Haydn, damals noch keine 20 Jahr,
hat für ihn komponiert: Der krumme Teufel –
ein Singspiel mit Fortsetzung.
Ob das hierher gepasst hätte?
in diese geistliche Residenz... (Blickt sich um)
Wer weiß!
Sie wollen wissen, wie ich nach Passau kam?
Joseph Maria von Thun-Hohenstein hat mich engagiert.
Ein katholischer Reformer der Sonderklasse:
Streng in der Religion – offen für die Kunst.
Irgendwie müssen sich die Leut’ ja unterhalten...
Doch bevor er hören konnte,
was ich ihm bieten konnte,
starb er auch schon wieder.
Das war 1763.
Seither regiert Fürstbischof Leopold Ernst von Firmian.
Ebenfalls ein aufgeklärter Kopf.
Der reformiert bereits seit 15 Jahren –
und er baut:
Die Neue Residenz und auch das Krankenhaus.
Passau wird noch eine richtig moderne Stadt.
Nur ein ordentliches Theater fehlt uns noch.
Aber das wird schon.
Da bin ich zuversichtlich...
Vor ein paar Jahren,
Anfang der 70er Jahre,
war noch genug Geld da,
um italienische Oper zu spielen.
Da habe ich einige Libretti vertont,
Texte vom großen Metastasio.
Wenn jetzt eine reisende Gesellschaft kommt,
um in Passau Theater zu spielen,
dann sind es deutsche Truppen.
Die treten hier im großen Rathaussaal auf,
machen Reklame
und wollen ein Geschäft machen.
Manchmal sind Gute dabei.
Bemerkenswert war voriges Jahr,
im Juli 1777,
der Felix Berner,
Impresario der „Jungen Schauspieler-Gesellschaft“.
Darüber, wie er seine Kinder hält,
will ich mich nicht äußern,
aber was die auf der Bühne zeigen,
ist tadellos.
Berner hat vor einigen Jahren
eines meiner Werke aufgeführt,
ein einaktiges Singspiel Die Wirkung der Natur
in Rechnitz auf Schloss Batthyány.
Ohne den Adel wär’ es nichts mit dem Theater...
Und
Die beste Wahl oder Das von den Göttern bestimmte Loos
hat Berner auch in sein Programm aufgenommen.
Die Uraufführung vor ein paar Wochen in Nürnberg
soll gut gewesen sein.
Jetzt bin ich aber gespannt,
wie mein neuestes Werk gefällt.
Ein Singspiel in orientalischem Gewande.
Das ist gerade in Mode!
Auch mein Bruder Karl,
der beim Fürsten Eszterházy in Eisenstadt Libretti schreibt,
hat erst jüngst für Joseph Haydn ein solches Stück verfasst: L’incontro improvviso.
Eine sehr schöne Oper!
Die Handlung ist zwar ähnlich wie das Singspiel vom Gluck,
aber ich kann sie nur empfehlen.
Mein Singspiel ist auch fertig:
Das Serail.
Die Leute werden staunen,
denn die Handlung ist völlig anders als in diesen Opern.
Es soll in Erlangen aufgeführt werden.
Man sagt, die Frau Markgräfin wird kommen,
um der Aufführung beizuwohnen.
Diese „allerhöchste Aufmerksamkeit“ hat mein Werk wirklich verdient.
Aber jetzt ein letzter Gang durch die Handlung,
ein letztes Mal die Noten geprüft!
Erster Akt
Zu Beginn des ersten Akts
eröffnet sich der Blick ins Serail,
in den prächtigen Garten des Sultans.
Wie ein orientalischer Palast von außen aussieht,
ist Ihnen hinlänglich bekannt
durch Bilder und Beschreibungen.
Das verkauft sich heutzutage recht gut.
Aber was sich im Serail abspielt,
das regt unsere Phantasie doch recht an.
Ich denke an eine bukolisch-idyllische Szene.
Hier liegt der Gärtner, „der angenehme Sclav“
umgeben von den schönsten Bäumen –
Zitronen, Orangen, Pomeranzen...
Und er schläft.
Und er ist sehr jung und hübsch.
„Nach der Farbe seines Gesichts“,
sagt Zaide, die sich ihm nähert,
„und nach der Zärte seiner Hände
scheinet er ein Europäer zu seyn.“
Schwielen an den Händen hat er keine,
Zeit zum Rasten hat er auch.
Er dürfte nicht allzu viel arbeiten müssen.
Doch wovon ruht er sich aus?
Sucht er vielleicht den Schlaf,
„sein beßtes, was er hier genießet“?
Sehnt er sich danach zu träumen?
Von seiner Familie?
Von seiner Heimat?
Man wird ja wohl träumen dürfen.
Sein Name ist Comatz.
Die ihn beobachtet ist Zaide,
die Favorit-Sklavin des Sultans.
Bevor ich zu komponieren begonnen habe,
hab ich das Libretto dreimal gelesen,
um etwas über sie herauszufinden.
Hat sie sich auf den Sultan eingelassen?
Ist sie deshalb zur Favoritin avanciert?
Oder hat sie sich ihm bislang verweigert?
Und ist deshalb umso reizvoller für ihn?
Das wäre doch ein Stoff!
Daraus ließe sich was machen...
Aber das Libretto sagt nichts dazu.
Zaide ist jedenfalls seit längerem in Comatz verliebt.
Sie hat ihn aus der Distanz beobachtet.
Wahrscheinlich vom Fenster ihres Gemachs.
Nun geht sie auf ihn zu.
Sie legt dem Schlafenden einen Beutel voll Gold
und ihr Portrait in den Schoß.
Dabei singt sie eine schlichte,
doch schöne Arie:
Schlafe ruhig, liebstes Leben!
Schlafe fort, dein Glücke wacht:
Dieses Bildniß will dir geben,
Das viel andre hat verlacht.
Ja dir allein solls ewig seyn:
Betracht es wohl; es ist das mein.
Schlafe ruhig, liebstes Leben!
Schlafe fort = =
Zaide tritt zurück und versteckt sich,
als Comatz aus seinem süßen Traum erwacht,
voll Sehnsucht nach Liebe und Freiheit.
Zurückgekehrt in seine Alltagswelt
ist er im Begriffe wieder an die Arbeit zu gehen...
Da entdeckt er den Beutel.
Vor allem aber sieht er das „liebenswürdige Bild“, das ihn verzaubert.
„In meinem ganzen Leben habe ich noch keine solche Schönheit erblickt“, ruft er aus.
Ein beigelegter Brief verheißt noch mehr!
Kann das wirklich sein?
Oder „ist es vielleicht ein Versuch“, so überlegt er,
„wodurch man mir noch ein größeres Unglück zubereiten will?“
Egal! Sein Entschluss steht fest:
„ich will meine Zuflucht,
und meinen Trost zu diesem schönen Bilde nehmen.“
Er stimmt eine Arie an,
die ihn gleich als Europäer vorstellt,
weil sie nach italienischer Hofoper klingt:
mit ordentlichem Instrumentalvorspiel,
häufigen Textwiederholungen
und der Da-capo-Form.
Rase immer hartes Schicksal,
Droh mit Tod und schwerer Pein:
Dieses Bildniß ist das Labsal,
Ja das wird es ewig seyn.
*
O wie schön sind deine Augen;
Und dein Mund ist Purpur roth:
Dieses Bild soll künftig taugen
Schlafe ruhig, liebstes Leben!
Zaide und Comatz haben je eine Arie gesungen.
Jetzt braucht es wieder Aktion auf der Bühne,
ein kleines Spiel im Spiel.
Zaide mimt die Erzürnte.
„Nichtswürdiger Sclav! du unterstehest dich
mir meine besten Kleinodien und Kostbarkeiten zu entwenden? mir, als der ersten Favoritin des Sultans?“
Comatz tut so unschuldig als er ist.
Er ist sofort bereit, alles zurückgeben –
das Bildnis jedoch will er behalten,
denn daran hängen wie er sagt:
„Meine Ruhe, meine Zufriedenheit –
und die Glückseligkeit meines ganzen Lebens.“
Großes Pathos, echte Leidenschaft.
Offenbar erkennt Comatz Zaide nicht als Portraitierte dieses „magischen“ Bildes.
Ist sie verschleiert aufgetreten?
Oder spricht er – aus Angst und Demut –
auf den Knien zur herrschaftlichen Dame?
Mit dem Blick zu Boden?
Ohne sie zu erkennen?
Das soll bitte der Berner entscheiden.
Er wird schon wissen,
wie er das inszenieren möchte.
Als sich Zaide jedenfalls
(nach zwei Seiten im Textbuch)
als „das Original von diesem Bilde“ zu erkennen gibt,
ist unmittelbar klar, dass es ums Ganze geht:
„sey darauf bedacht“, sagt sie zu Comatz,
„wie wir entweder miteinander frei leben –
oder sklavisch sterben mögen.“
In großer Euphorie über diese außergewöhnliche Begegnung
singen die beiden das nun folgende Duett.
Ach ich sterbe fast vor Freuden!
Ach ich weiß nicht, wo ich bin.
Aller Unstern, alles Leiden
Ist bey mir auf einmal hin.
*
O mein Comatz! O Zaide! o mein Freude!
Wie vergnüget seyn wir heute,
Ach daß dieses immer währt,
Und kein Unstern dieß verkehrt!
*
Uns zu lieben stets im Frieden
Seh ich an als eine Gab,
Die von oben ist beschieden,
Und sich endet in dem Grab.
Zaide geht ab,
Comatz bleibt.
Wie gesagt, es braucht zwei Seiten im Textbuch,
bevor sich Zaide als „das Original von diesem Bilde“ zu erkennen gibt.
Da reden die beiden recht allgemein
über den Weltteil, in dem sie geboren sind,
über Großmut und Tugend der dortigen Edelleute,
zu denen Zaide und Comatz offenbar zählen.
Das Duett habe ich entsprechend komponiert:
Da singen beide im Stil der italienischen Hofoper,
die Gesangslinien sind verzierungsreich angelegt,
sie singen sogar gemeinsam Koloraturen!
Da haben sich zwei gefunden,
die offenbar zu einander passen.
Die beiden behalten ihren musikalischen Charakter
bis zum Ende des Stückes bei.
Sie erhalten davon noch einige Kostproben.
Im Gespräch wird jedoch kein Land, keine Stadt,
kein Name genannt –
kein Wunder,
denn sonst würden die beiden jetzt schon erkennen,
dass sie Bruder und Schwester sind.
Entschuldigen Sie, dass ich das verrate,
aber so ist es auch für das Textbuch geplant:
Da soll der Titel lauten:
Das Serail. Oder: Die unvermutete Zusammenkunft
in der Sclaverey zwischen Vater, Tochter und Sohn
Sie dürfen raten, wer jetzt die Bühne betritt.
Der Vater natürlich.
Das ganze Stück nur „Renegat“ genannt.
Eigentlich ist ein Renegat einer,
der den Glauben gewechselt hat,
oder hier: den Glauben seines Herrn angenommen hat.
Ich habe ihn deshalb musikalisch anderes charakterisiert.
Vielleicht erkennen Sie die Alla turca Elemente?
Eine interessante Figur jedenfalls.
Selbst ein Sklave des Sultans,
hat er Karriere am Hof gemacht.
Er ist zum Oberaufseher der Sklaven aufgestiegen
und macht selbst Geschäfte mit Sklavenhändlern.
Eine Profession, in der man täglich Härte zeigen muss.
Er hat bislang keinen Versuch unternommen,
in die Heimat zurückzukehren –
sei es durch Flucht oder Lösegeld –,
sondern sich recht gut mit dem System arrangiert.
Er genießt das Vertrauen seines Herrn.
Doch die Verabredung des jungen Paares zur Flucht,
die der Renegat belauscht hat,
löst bei ihm einen inneren Konflikt aus.
Er schätzt Comatz seit langem –
dasselbe gilt im Übrigen auch umgekehrt –
und des Jünglings Reden von Liebe und Freiheit
berühren ihn zutiefst.
Seine Pflicht wäre nun gewesen,
den Sklaven sofort zu bestrafen, ihn „niederzusäbeln“.
Doch er ist bereit,
das von ihm beobachtete Vorkommnis
für sich zu behalten.
Und nicht nur das:
Der Renegat ist sogar bereit,
die Flucht zu unterstützen
und damit sein Leben zu riskieren.
Was hätte ich zu komponieren,
würde der Renegat einfach sagen:
Ja, ich helfe euch.
Stattdessen will er Zaide, als sie wiederkommt,
„auf eine harte Probe stellen“.
Daraus ergibt sich ein sehr schönes Terzett:
Zaide. Com. Renegat! Renegat! Renegat!
Zaide. Darf ich dir, o Freunde trauen,
Und auf dich mein Hoffnung bauen,
Sieh mich hier zu deinen Füßen,
Dich um Gnade zu begrüssen.
Reneg Dich, o Frau! zu meinen Füßen = =
O Mahomet! o Mahomet!
Das ist für mich zu viel.
Zaide. Ja die Thränen, die jetzt fließen,
Kannst du mir anjetzt versüßen,
Wenn du machest, was ich will.
Reneg. Rede! was ist dein Begehren,
Zaide. Uns die Freyheit zu bescheren,
Reneg. O nein!
das kann unmöglich seyn;
Alle Marter, alle Pein
Wurden fallen über mich,
Und letzt der bittre Tod:
Zaide. = = = O GOtt!
Reneg. Nein nein, das kann unmöglich seyn;
Ich fürcht zu sehr die Todespein,
Ich müßte sterben sicherlich.
Com. Herr! wo ist dann das Versprechen,
Das dein Mund mir vormals gab?
Reneg. Ich kann dieses leichtlich brechen;
Weil ich keines geben hab.
Zaide. Ach wir sind all beyd verlohren,
Und zum Tode auserkohren!
Ja mein Comatz lebe wohl!
Ich muß sterben; weil ich soll.
Com. Nein, Zaide! lebe wohl!
Ich, ich sterbe; weil ich soll.
Reneg. Still, ihr Kinder! ich erweiche,
Pein und Marter, Todesstreiche
Solln für mich das gringste seyn.
Geht! = ich geb mich willig drein.
Zaide. Com. O Himmel! o Glücke! o Liebesgeschicke!
Com. Spricht dein Mund die Wahrheit aus,
Oder ists ein leerer Saus?
Reneg. Nein, ihr Kinder folget mir,
Ihr sollt scheiden heut von hier.
Alle drey.
So lasset uns dann die Sache beschließen,
Auf daß wir noch heut die Freyheit genießen,
Gute Nacht du Elendsort,
Jetzt gehn wir mit Freuden fort.
Nachdem das fluchtbereite Paar abgegangen ist,
tritt der Sklavenhändler Osman auf.
Diese Idee hat mir sehr gefallen.
In den Werken von Gluck und Haydn
wird von den Sklavenhändlern nur gesprochen.
In meinem Singspiel kommt ein solcher Menschenhändler auf die Bühne.
Dieser berichtet von einer besonders hübschen Sklavin,
die er dem Sultan zum Kauf anbieten möchte.
Perfekt, denkt der Renegat.
Damit könnte der Sultan besänftigt werden!
Und vielleicht sogar
über den bevorstehenden Verlust seiner Favoritin hinweggetröstet...
Alles scheint reibungslos zu laufen.
Da keimt auch im Renegaten der Gedanke zur Flucht.
Doch zuvor zum Geschäftlichen.
Die von Osman vorgeführte Sklavin ist
eine Schönheit vom Lande:
Die Gestalt, die Beine, die Hände – alles vollkommen.
Nur – ihr Gesicht ist verschleiert.
Der Renegat will die Schönheit ihres Antlitzes prüfen,
bevor er den Kauf besiegelt.
Doch da muss er noch ein wenig warten.
Zuvor zeigt sie mit einer Hirtenarie,
wie schön sie singen kann.
Muntre Schäfer! scherzt und lacht,
Spielt und singt die beßten Lieder,
Seht des jungen Frühlings Pracht
Zeigt sich, und ergötzt euch wieder;
Seht die bunt geschmückten Felder,
Und die neu belebten Wälder;
Alles ruft und ladt euch ein,
Auch dieß Jahr vergnügt zu seyn.
*
Eine ganze Welt voll Lust
Schafft der Himmel nicht vergebens,
Gönnt doch eurer frohen Brust
Das Vergnügen dieses Lebens;
Schmeckt des holden Himmels Güte
Mit erheitertem Gemüthe;
Denn der wahren Tugend Pflicht
Ist kein murrisches Gesicht.
*
Schäfer! liebt doch euer Glück,
Frey von Kummer und Beschwerden;
Jedes Tages erster Blick
Lockt euch schon zu euren Heerden.
Bey der Flöte reinem Schalle
Laßt ihr sie aus ihrem Stalle:
Treibet sie mit Scherz und Ruh
Den bethauten Feldern zu.
Die Stimme der Sklavin bezaubert den Rengaten.
Der für sie geforderte Preis ist hoch – sehr hoch.
Aber als er dann endlich ihr Gesicht sieht,
ist er begeistert und schließt den Handel ab.
Alle drei verlassen die Bühne.
Zaide und Comatz treten erneut auf.
In „muselmännische Kleider“ gehüllt,
die hat ihnen der Renegat bei einem Kaufmann organisiert.
Das kennen die Zuschauer schon vom Gluck.
Der hat nach dieser Verkleidung seine ganze Oper benannt:
– zumindest wird sie heute unter diesem Titel aufgeführt: Die Pilgrime von Mekka.
Zaide und Comatz singen nun ihr zweites Duett,
ganz beseelt von der gemeinsamen Zukunft,
die sie sich von ihrer Flucht erhoffen.
Com. Komm, mein Engel! laß uns eilen,
Und nicht länger hier verweilen
Du mein Hoffnung und mein Lust.
Zaide. Daß mit allergrößter Freude
Hier von dieser Gegend scheide,
Ist dir selbst mein Herz bewußt.
Com. Fort mit euch ihr Sclavensbande,
Nimm allhier die Freyheitshande
Zu ein stetem Opfer an.
Zaide. Ja mein Comatz gib sie mir,
Hier hast du mein Herz dafür,
Und so ist es wohl gethan.
Beyde. Nun so geben auch die Götter,
Daß wir ferner glücklich seyn,
Und mit guten Wind und Wetter
Kommen in den Port hinein.
Es tritt der Renegat hinzu.
Im nun folgenden Terzett, dem Finale des ersten Aktes,
verabschieden sich Zaide und Comatz von ihm,
in der Hoffnung, einst einander in der Heimat wiederzusehen.
Nach wie vor ohne Andeutung, wo diese Heimat sei...
Doch hören wir den Dreien zu:
Zaide. Com. Wir scheiden = und du = lebe wohl.
Reneg Ihr scheidet, = ach = lebet wohl!
Com. O Freund! ich bitte dich, komme mit.
Reneg. Mein Kind! anjetzo kann ich nicht,
Doch warte nur, in kurzer Zeit
Werd ich euch sehn mit tausend Freud.
Zaide. Wie froh und glücklich wären wir
Zu sehen dich in der Revir,
Wo das Vergnügen immer lacht.
Reneg. Geduld! ich hab schon alls bedacht:
Das liebe Glück begleite mich,
In wenig Tagen folge ich.
Zaide. Com. Nun, Freund! so lebe wohl,
Wir danken deiner Güte.
Reneg. Ihr Kinder, lebet wohl!
Der Himmel euch behüte:
Alle 3. Die Götter wolln, daß, wie wir stehn,
Uns alle einst beysammen sehn.
O Glück! o Glück! verlaß uns nicht,
Und mach, daß unser Will geschieht.
Zweiter Akt
Zweiter Akt,
der Blick schwenkt vom paradiesischen Serail
hin ins Zentrum der Macht.
Der Sultan tritt samt Gefolge auf.
Alle Tagesgeschäfte laufen höchst erfreulich für ihn,
nur seine Favoritin fehlt ihm zu seinem Glück.
Der Renegat wird geschickt, sie zu holen.
Er kommt, wie nicht anders zu erwarten,
alleine zurück und überbringt die Nachricht:
Sowohl Comatz als auch Zaide sind entflohen!
Im Libretto steht nicht viel darüber,
was sich der Sultan denkt,
wie sich der Sultan fühlt.
Hier hätte eine Verzweiflungsarie gepasst,
oder eine Rachearie – aber
der Sultan ist eine Sprechrolle
und reagiert sehr pragmatisch.
Der Renegat übernimmt den Auftrag,
die Flüchtigen einzufangen und „niedersäbeln“ zu lassen.
Bevor er diesen Auftrag durchführt,
präsentiert er die neue Sklavin.
Auch der Sultan ist beeindruckt,
„ganz betroffen über ihre Schönheit“.
Dann singt sie noch dazu ein Quodlibet,
ein Bravourstück
mit den unterschiedlichsten Melodien.
Der Text ist voll dialektaler und volkstümlicher Elemente,
ein Zitatenmix aus den unterschiedlichsten Quellen.
Ich habe das aber sehr liedhaft vertont,
weil das zur dieser Schönheit vom Land
am besten passt.
O Himmel! o Erde!
O Feuer, Luft und Wasser!
O hät i di, wie wollt i di,
ä so, ä so, ä so.
Mein Vatä ist ä brava Mann,
Mein Mutta ist ä so:
O Tod! wie bitter bist du nicht,
Wanns heißt, jetzt sey zum Sterben gericht:
Au weh! ich mecht nit denkä dran,
I läffät, läffät glei davan.
Gute Nacht Schneepepperl,
Was thut jetzt mein Sepperl?
Alle gute Ding seynd drey,
und wanns pascht, so bleibts dabey.
I bin halt ä Mädl,
wie ä Rädl,
wie ä Schädl,
ä Diendl,
wie ä Birndl,
wie ä Zwiendl,
ä Diendl.
Und alleweil ä weni lusti,
ä weni trauri,
ä weni Geld im Sack,
ä weni Schnopftaback,
Und alleweil ä so,
Und alleweil ä so, sososo, so.
Sultan und Sklavin gehen ab in die herrschaftlichen Gemächer.
In diesem Moment trifft der Renegat die definitive Entscheidung, ebenfalls zu fliehen.
Er besingt dies mit seiner ersten Arie.
O Glück! o Fortuna! reicht mir eure Hand,
Erlöst mich von diesem barbarischen Land,
Macht, daß ich bald sehe,
Wies diesen ergehe,
Die jetzt in der Freyheit
Fortwandren mit Freud.
Anher zu gedenken
Wär Schad um die Zeit,
Mein Amt kann man schenken,
Dems besser gefreut.
Nun tritt die Sklavin erneut auf.
Sie schimpft über den schon eingeschlafenen Sultan,
bezeichnet ihn gar als „besoffenen Limmel“.
Sie ärgert sich offenbar.
Was geschehen ist, sagt der Text nicht.
War er ungut?
War er nicht gut genug?
In solcher Stimmung trifft sie auf den Renegaten,
der nach wie vor begeistert von ihr ist und ihr
„das schönste Zimmer im Serail“ verspricht.
Sie erzählt von ihrer Herkunft aus dem Landl,
im Herzen von Östrreich ob der Enns,
und ihrer abenteuerlichen Reise,
als sie – im Strudengau bei Grein –
in den „Wirbel“ geraten und erst im Schwarzen Meer
von der Donau ausgespuckt worden ist.
„Deine Erzählung, so poßirlich sie auch klingt“,
meint der Renegat, „gefällt mir nicht übel,
du hast Lust mit mir zu scherzen, wie ich sehe“,
– ich habe immer den Eindruck, er würde auch gerne mit ihr scherzen –
„allein“, sagt der Renegat, „ich halt es dir
und deiner Schönheit zu gut, nun folge mir.“
Bevor sie das tut,
singt sie noch selbstbewusst folgende Arie.
Ich seh, mit Narrheit gwinnt man mehr,
Als mit verschmitzten Grillen,
Ich thu, als ob ich närrisch wär,
Die Mod werd ich fortspielen.
Man schwätzt mir vor von Gold und Geld,
Man will mir geben ein halbe Welt,
Doch mach ich mir von alln nichts draus,
Wär ich nur bald bey mir zu Haus.
*
Jetzt soll ich leben wie ein Hund,
Ein jeder wird nur schaffen,
Stets tragen diesen Türkenbund,
Ich gleiche fast den Affen,
Hät ich mein Haubn, und meinen Rock,
Der steht recht wie ä Nägelstock,
Allein! jetzt heißts halt Kleine gusch,
Daß ich die Sach nicht ganz verpfusch.
Diese Figur muss man lieben –
oder man lässt sie aus dem Spiel.
Ich habe ich mich sehr um sie bemüht.
Der Renegat jedenfalls versorgt die Sklavin off-stage
und flieht anschließend.
Jetzt wird das Publikum aus dem Serail entführt
und aus dem Palast des Sultans.
Comatz und Zaide haben sich auf der Flucht verloren.
Comatz kommt an den Ort,
an dem er Zaide zurückgelassen hat,
um ein Schiff für die Flucht zu organisieren.
Eine felsige Gegend.
Das bietet mir die Möglichkeit,
eine Arie mit Echo-Effekten zu komponieren.
Com. Euch stummen Felsen will ich klagen,
Höret meine Seufzer an:
Ach könnt ihr mir dann gar nicht sagen,
Wo ich mein Herze finden kann!
Sag, geliebter Widerhall = =
Echo. = = im Thal.
Comatz. Im Thal = (ganz langsam.)
Ach wie soll dieß möglich seyn,
Das geht mir ja gar nicht ein.
Ein Wort ist noch zu wagen
Ich will noch einmal fragen,
Ist sie hier? = =
Echo. = = hier:
Ist sie da? = =
Echo. = = ja.
Nun auf, o Comatz, eile fort!
Und such an dem bedeuten Ort,
Der Himmel gib, daß ich sie find,
Das lieb und angenehme Kind.
In seiner Verzweiflung hört Comatz die Zusprache des Echos nicht.
Und macht sich erneut auf die Suche.
Auftritt Zaide.
Sie vermeint, seine Stimme gehört zu haben,
sieht Comatz aber nicht und will auf ihn warten.
Als sie den erneut nahenden Comatz endlich erblickt,
verbirgt sie sich, um „das weitere [zu] vernehmen“.
Fragen wir nicht warum!
Auf der Bühne funktioniert das eben.
Also, wieder eine Lauscherszene
wie schon zu Beginn des Stücks.
Nur viel dramatischer, denn:
Comatz will sich in seiner Verzweiflung erdolchen.
Da erst springt Zaide mit viel Effekt dazwischen.
Zaide. Halt ein! (springet hervor und wehret ab)
was soll ich thun allein?
Com. Zaide (ganz wehemüthig) noch im Leben?
Zaide. Auf, auf und thu dich heben.
Com. Ja, ja, geliebter Widerhall!
Dir sey nun Dank vor allemal,
Du hast mir geb’n, was ich begehrt,
Und hast die Liebste mir beschert.
Zaide. Ach komm! und laß uns jetzo gehn,
Daß wir uns bald ein Schiff bestehn.
Com. Ja, ja das längere Verweilen,
Wird uns gar schlechten Trost ertheilen.
Beyde. Drum auf mein Schatz und frisch gewagt,
Es möcht uns werden nachgejagt.
Beide ab.
Nun tritt erneut der Sultan mit Gefolge auf.
Er ist bereits über die Flucht des Renegaten
in Kenntnis gesetzt.
Auch dass der Renegat soeben gefangen wurde,
weiß er.
Ein Brief jenes Kaufmanns,
von dem die „muselmännischen Kleider“ stammen,
deckt die Verbindung
zwischen Renegat, Zaide und Comatz auf –
und deren gemeinsamen Verrat am Sultan.
Auf dieses Verbrechen steht die Todesstrafe.
Klar. Was sonst?
Der Renegat ist bereit zu sterben
und Verantwortung für seine Tat zu übernehmen.
Zugegeben, es besteht ohnehin keine Chance mehr.
Als er erfährt, dass auch Zaide und Comatz gefangen sind, wirft er sich sein Vergehen vor.
Schmach und Reu durchdringt die Seele,
Weil ich mich nun gräm und quäle,
Und in dem betrübten Stande
Fühlt mein Herze Reu und Schande.
Ich will zu des Henkers Stricken
Mich nun ganz geduldig bücken;
Denn von selben zu befreyn,
Wird mir wohl unmöglich seyn.
Der Renegat wird von den Wachen abgeführt.
Zaide und Comatz treten – ebenfalls in Ketten – auf.
In Erwartung der Todesstrafe singen sie ein bewegendes Duett:
Com. Sie weint! und ihre Thränen
Thun sich nach dem Tode sehnen,
Ach schweig! ich trag die Schuld allein,
Warum muß ich gefangen seyn.
Zaide. Nein! der Tod trifft mich allein,
Sag dem Kaiser, daß ich seye,
Die ihm brochen hat die Treue,
Und verdient des Tods zu seyn.
Beyde. O ihr Götter, hört mein Flehen!
Laßt mich bald zu Grabe gehen,
Hier ist für uns nichtes mehr,
Als der Tod die letzte Ehr.
Es folgen der Sultan und der Renegat.
Die Auflösung hin zum guten Ende beginnt.
Das erwartet das Publikum.
Und wir wollen das Publikum nicht enttäuschen.
Der Renegat wird als eben jener Admiral erkannt,
der 15 Jahre zuvor dem Sultan das Leben gerettet hat,
woraufhin ihm die Fesseln gelöst werden
und ihn der Herrscher als Freund umarmt.
Im erneuerten Vertrauen
hat der Renegat die Möglichkeit,
beim Sultan für die beiden Entflohenen
zum Fürsprecher zu werden.
Und er weckt in Zaide
die Hoffnung auf eine mögliche Rettung,
wofür ihm diese überschwenglich dankt.
O Freund! wie voll der Freud bin ich,
Daß deine treue Sorg für mich
Noch im dem Herzen Platze findt.
Wie kann und soll ich danken dir;
Wärst du anjetzt nicht bey uns hier,
Wer helft uns von dem losen Gsind.
*
Ja, ja! jetzt will ich ohn Verweilen
Gleich zu meinem Liebsten eilen,
Und ihn mit dieser Post erfreun,
Wie wird er doch vergnüget seyn.
Doch die Verurteilung zum Tode
scheint trotz der Fürsprache des Renegaten unabweisbar.
Comatz beklagt das in einer Arie.
O Tag! o angenehmer Tag!
Von allen meinen Tagen,
Du nehmest hin die Plagen:
Du schaffst mir alle Sorgen ab,
Und giebst in einem kühlen Grab
Mir doch die Ruh zur letzten Gab.
*
Fürwahr der hat wohl schön gedacht,
Der diesen Spruch einst hat gemacht:
Wer kein Glück auf Erden kann erwerben,
Dem sein größtes Glücke ist zu sterben.
Im Zuge der Verabschiedung des todgeweihten Paares wird plötzlich die Herkunft der Versammelten Thema.
So stellt sich heraus,
dass der Renegat Fürst Rothschiero ist
und die beiden seine Kinder Ellissinte und Emilio sind.
Welch unerwarteter Zufall!
Bewegt vom Freudentaumel der Wiedererkennung
schenkt der Sultan allen dreien die Freiheit,
verspricht ihnen sicheres Geleit
und dem Renegaten
eine angemessene Kompensation für „den erlittenen Verlust […], den du in deiner Sclaverey ertragen hast.“
Im Schluss-Chor loben alle gemeinsam
„Großmuth und Tugend“
als hervorragende Eigenschaften eines Fürsten,
der damit selbst das Wohlwollen der Götter erwirkt,
ja wodurch sie „den Göttern gleich werden“ können –
„in allen Theilen der Welt“.
Das ist ein Schluss,
der meinem Herrn wohl gefallen wird.
Und ich hoffe, dem Publikum auch.
Großmuth und Tugend
= = Stammet von Göttern.
Götter die krönen
= = Die Fürsten auf Erden;
Durch Tugend können die Fürsten
= = Den Göttern gleich werden.
Sie wohnen in allen
= = Theilen der Welt;
So wisset, daß Großmuth und Tugend
= = Den Göttern gefällt.